RELIGION Der stigmatisierte kroatische Priester Zlatko Sudac vollbringt angeblich Wunderheilungen. Am Nationalfeiertag predigte er für die kroatische Gemeinde in Wien. Joseph Gepp
Foto von Katharina Gossow
Dobrodosli dobri ljudi. Willkommen, ihr guten Leute. Zlatko Sudac hebt beide Arme, sodass die breiten Ärmel seines bodenlangen weißen Talars nach hinten rutschen und den Blick auf zwei bandagierte Handgelenke freigeben. Er lächelt breit und sanftmütig. Mehr als tausend Menschen, fast ausschließlich Wiener Kroaten, warten gespannt auf seine Worte. Übervoll ist die Franz-von-Assisi-Kirche am Mexikoplatz an diesem 26. Oktober. Die Menschen okkupieren die Sitzreihen bis auf den letzten Platz, drängen sich auf den dazwischenliegenden Gängen, verstopfen draußen mit ihren parkenden Autos die Gassen rund um den Platz. Zlatko Sudac, 36, wird Wundersames nachgesagt: Der Priester trägt Stigmata, die Wundmale Jesu. Während seiner Messen soll es immer wieder zu medizinisch unerklärlichen Heilungen gekommen sein. Heute predigt er für die kroatische Gemeinde in Wien. Und er tut es auf begnadete Art und Weise.
Zlatko Sudac‘ Predigt ist ein reißendes Stakkato aus mildtätiger Sanftheit und wilder Anklage. Er lächelt, er schreit, er rudert wild mit den Armen, er hebt die Hand und zeigt zum Jesusbild, das an der Wand hängt. „Wenn ihr lieben wollt, müsst ihr das Kreuz lieben.“ Sein spitzes Gesicht, sein gestutzter Bart, sein schulterlanges Haar erinnern an Jesus, wie man ihn von klassischen Darstellungen kennt. Keine Sekunde der Unkontrolliertheit stört seinen Redefluss, der offensichtlich nur darauf angelegt ist, Emotionen zu schüren, die Menschen mit seinem Charisma in seinen Bann zu ziehen. Kein Mucks stört die Gewalt seiner Worte. Niemanden unter den Tausend scheint es zu geben, der Zlatko Sudac nicht jedes Wort glaubt, das er sagt. „Ich habe einen Menschen gekannt, der im Krieg gekämpft hat“, erzählt er, „er hat Tod, Mord und Zerstörung gesehen. Er war nicht mehr fähig, Emotionen zu empfinden. Freude und Leid waren ihm fremd. Sein Herz war Stein. Dann wurde er geheilt – durch dieses Lied …“ Ein Mann in Lederjacke kommt mit einer akustischen Gitarre aus der Sakristei. Sudac stellt ihn als Ivan vor. Ivan spielt ein Lied, das so klingt, als würde Roy Black seiner verflossenen Filmgeliebten nachtrauern: „Sie haben alles zerstört, sie haben sogar die Liebe zerstört, ich habe nicht geweint, ich habe mich nicht vom Fleck gerührt.“
Man könnte Zlatko Sudac Populismus vorwerfen und dem Klang seiner Predigten eine bedenkliche Nähe zu politischen Brandreden. Aber im traditionell katholischen Kroatien wurde der kleine Pfarrer von der Insel Krk mit seinem überbordenden Charisma zu einer Art geistlichem Popstar. Inzwischen reist er rund um die Welt und predigt für die Diasporen in Europa und Amerika. Dass er – nach eigener Angabe – im Mai 1999 erstmals die Stigmata empfing, steigerte seinen Ruhm noch mehr: Jeden Freitag soll die kreuzförmige Wunde auf seiner Stirn zu bluten beginnen. An diesem Freitag jedoch, dem Nationalfeiertag in Österreich, deutet nur ein vernarbter brauner Fleck auf das Stigma hin. Die vatikanische Gemelli-Klinik in Rom hat die Authentizität der Wundmale bestätigt. In einem Interview mit einer Pfarre im US-amerikanischen Chicago behauptete Sudac weiters, seit dem Auftreten der Stigmata verfüge er über paranormale Fähigkeiten: Er könne unter anderem schweben (Levitation), an mehreren Orten gleichzeitig sein (Bilokation), in die Zukunft blicken und biblische Sprachen wie Aramäisch sprechen, ohne sie jemals studiert zu haben. Allerdings, so Sudac im Gespräch mit der kroatisch-katholischen Kirche des Heiligen Hieronymus: „Ich will erst über diese Wunder sprechen, wenn etwas Zeit vergangen ist. Derzeit bin ich in Kontakt mit Experten. Erst nach ihren Befunden will ich mich äußern.“ Und über das Phänomen der Bilokation, das in der Bibel einigen Heiligen zugeschrieben wird, sagte er: „Das ist ein sehr interessantes Phänomen. Bei mir äußert es sich aber nur, wenn keine anderen Personen zugegen sind.“
Weniger Hehl macht Zlatko Sudac aus seinen politischen Ansichten. Über die kroatischen Soldaten, die im Balkankrieg kämpften, sagte er: „Ich bewundere sie. Die größte Ehre sollte ihnen zuteil werden. Damals haben wir alle Rosenkränze um den Hals getragen und Kerzen in unsere Fenster gestellt – und heute schämen wir uns dafür, Kroaten zu sein.“ Diese Sätze sollen in Kroatien gefallen sein, ein Besucher hat den umstrittenen Priester gefilmt und die Predigt auf die Internetplattform YouTube gestellt. In Wien jedoch hält sich Sudac mit nationalistischen Äußerungen zurück – und bewirbt sogar ein gewisses übernationales Verständnis von Katholizismus: „Man ist nicht automatisch Katholik, nur weil man Kroate ist. Ihr müsst euch in das Kreuz verlieben. Ich kann nur den allerersten Tropfen in euer Herz schütten.“ Bei diesen Worten beginnt ein geistig behinderter Mann, der an der Brüstung vor dem Altar lehnt, zu stöhnen und mit den Armen zu zucken. Sudac weiß, wie er bei seinem Publikum ekstatische Emotionen hervorrufen kann.
Dann kommt die Rede auf die angeblichen Wunderheilungen. „Es ist bekannt, dass es bei solchen Predigten immer wieder zu wundersamen Heilungen gekommen ist“, sagt Pater Mio, Assistent und Mentor von Zlatko Sudac, „und auch diesmal haben wir eine lange Liste Kranker, die auf Heilung hoffen. Wir haben unsere Helfer in der Kirche verteilt, sie werden die Kranken zum Altar bringen und Pater Zlatko wird versuchen, sie durch Handauflegen zu heilen.“ Solange die Predigt dauert, wird kein einziger Kranker auf die Apsis geführt. Aber Zlatko Sudac hält sich ja noch zwei weitere Tage in Wien auf.
Erschienen im Falter 44/07