Aus dem profil 36/2019 vom 1. September 2019
Die SPÖ sorgt im Wahlkampf mit der Forderung nach einer Erbschaftssteuer für Aufsehen. Sie soll viel Geld bringen und zugleich wenige Menschen belasten. Geht das denn? Die Daten zeigen: möglicherweise schon.
Von
Joseph Gepp
Eigentlich müsste Österreichs Sozialdemokraten zum Jubeln zumute sein. Die Folgen der Ibiza-Affäre beschäftigen neben der FPÖ auch die ÖVP; zudem ist die Debatte über Migration aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten. Gut für die SPÖ, sollte man meinen. Doch es hilft nichts: Die Umfragen sind mau; für Aufsehen sorgen vor allem parteiinterne Querelen, während inhaltliche Vorstöße unentschlossen wirken. Zuletzt bekannten sich die Sozialdemokraten zwar mit viel Getöse zum Klimaschutz, lehnten aber zugleich eine CO2-Steuer ebenso ab wie ein teureres Schnitzel. Nun liegt ein weiterer roter Vorschlag auf dem Tisch. Anfang der Woche sorgte Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda mit dem Wunsch nach einer Erbschaftsund Schenkungssteuer für Aufsehen. Ganze 35 Prozent soll sie auf sehr hohe Erbschaften betragen. Die Reaktionen waren heftig. Die FPÖ etwa zweifelte an „der Ernsthaftigkeit dieses Verlangens“; die Industriellenvereinigung sprach von „plumpem Populismus“. Fest steht: So abseitig, wie die Kritiker tun, ist die Forderung bei Weitem nicht. In Österreich plädiert nicht nur die SPÖ für eine Erbschaftssteuer (übrigens nicht erst unter Pamela Rendi-Wagner, auch Vorgänger Christian Kern und Werner Faymann waren bereits dafür). Auch Grüne und Liste Jetzt haben die Steuer im Programm -wobei die Konzepte der Kleinparteien im Detail durchaus strenger ausfallen als bei der SPÖ. Unterstützt wird das Vorhaben zudem von einigen prominenten österreichischen Reichen, etwa Strabag-Gründer Hans Peter Haselsteiner und Erste Group-Chef Andreas Treichl.
Sie empfinden es als leistungsfeindlich, dass Erben steuerfrei davonkommen, während die einfachen Beschäftigten saftige Steuern auf ihre Gehälter abliefern müssen. Haselsteiner und Treichl schlagen damit in eine ähnliche Kerbe wie das Wiener Wifo, größtes schade der Wirtschaft, so die Experten: Würden Arbeitende geringere Steuern zahlen und Vermögende im Gegenzug höhere, wäre dies „vergleichsweise wachstums-und beschäftigungsverträglich“. Wirtschaftsforschungsinstitut im Land. Dieses konstatierte im Jahr 2015, dass die Einkommen der Arbeitenden hierzulande übermäßig belastet seien, während Vermögende steuerschonend davonkämen. Dies
Doch wie konkret die Erbschaften besteuern? Das SPÖ-Konzept nimmt den Wert der jeweiligen Erbschaft (minus Schulden) in den Blick -von der Immobilie bis zum Aktienpaket. Überschreitet der Gesamtwert eine Million Euro, ist auf die überzählige Summe die Steuer fällig. Je nachdem, wie viel geerbt wird, sind 25 oder 35 Prozent (Letzteres ab einer Erbschaft von zehn Millionen) abzuliefern. Wer also beispielsweise eine luxuriöse Eigentumswohnung in Wien erbt, deren Marktwert 1,2 Millionen Euro beträgt, müsste darauf 50.000 Euro Steuer bezahlen. Im Gegenzug soll laut SPÖ die Grunderwerbssteuer wegfallen: Diese Steuer, die geringer als die geplante Erbschaftssteuer ist, müssen derzeit alle Österreicher bezahlen, sofern sie Immobilien übertragen -nicht nur Millionäre.
Wer übrigens glaubt, die Erbschaftssteuer vermeiden zu können, indem er bereits zu Lebzeiten Vermögen abtritt, täuscht sich: In diesem Fall schlägt besagte Schenkungssteuer zu, die nach exakt demselben Prinzip funktioniert wie die Erbschaftssteuer.
Die SPÖ erwartet sich stolze Einnahmen; Drozda spricht von einer halben Milliarde Euro jährlich. Ist das realistisch? Dieser Frage hat sich Stefan Humer gewidmet, Ökonom der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU). Im Jahr 2013 errechnete Humer, wie viele Österreicher wie viel Geld erben. Das Ergebnis: Pro Jahr erfreuen sich durchschnittlich nur rund 1500 Personen einer Erbschaft von mehr als einer Million Euro – und wären somit laut SPÖ-Konzept steuerpflichtig. Auf den ersten Blick spricht diese geringe Zahl nicht gerade für eine ertragreiche Steuer. Auf den zweiten jedoch zeigt sich: Die wenigen Betroffenen verfügen laut Humers Berechnung über derart hohe Vermögen, dass die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer durchaus ansehnlich ausfallen würden. Humer rechnet mit rund 800 Millionen Euro pro Jahr -also mehr als die 500 Millionen, die der SPÖ vorschweben. Darüber hinaus: Weil Österreichs Bevölkerung altert und die Erbfälle zunehmen, würden die Erträge aus der Steuer weiter ansteigen. Ungefähr bis zum Jahr 2040.
Freilich stecken in der Rechnung Unsicherheiten. Niemand weiß, wie viel die Österreicher tatsächlich besitzen und vererben. Verlässliche Daten darüber gibt es nicht; lediglich Umfragen, Hochrechnungen und Schätzungen. Doch Humer hat seine Studie konservativ angelegt: Beispielsweise besitzen laut seiner Rechnung die reichsten österreichischen Haushalte nur jeweils circa 15 Millionen Euro. Realistischere Schätzungen gehen vielmehr von mehreren Milliarden aus. Das bedeutet: Obwohl Humers Rechnung extrem vorsichtig ausfällt, bringt die Erbschaftssteuer dennoch gute Erträge – noch dazu vonseiten einer kleinen Gruppe Vermögender, die bisher steuerprivilegiert ist im Vergleich zu gewöhnlichen Arbeitnehmern. Allerdings, so Humer: „Wenn das Steueraufkommen hoch sein soll, muss bei der Konstruktion der Erbschaftssteuer auf großzügige Ausnahmeregelungen und Umgehungsmöglichkeiten verzichtet werden.“
Dass dies entscheidend ist, zeigt das Schicksal von Österreichs erster Erbschaftssteuer. Im Jahr 2008 wurde sie ersatzlos abgeschafft. Nachdem der Verfassungsgerichtshof die Steuer beanstandet hatte, reparierte die SPÖ-ÖVP-Regierung sie nicht etwa, sondern ließ sie schlicht sterben. Der Handlungsdruck hielt sich in Grenzen, da sie ohnehin kaum Geld abwarf: gerade einmal rund 100 Millionen Euro pro Jahr.
Die Ursache für das niedrige Aufkommen: Nicht nur Sparbücher waren nicht inkludiert, vor allem fiel die Bewertung von Immobilien extrem realitätsfern aus. Erbte jemand ein Haus oder eine Wohnung, dann wurde als Basis für die Steuer nicht etwa der tatsächliche Marktwert herangezogen, sondern der sogenannte dreifache Einheitswert. Dabei handelt es sich um eine behördliche Bewertungsmethode, die sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat. Ein Beispiel: Ein Einfamilienhaus in Niederösterreich mag in Wahrheit einige Hunderttausend Euro wert sein -der Einheitswert beträgt lediglich einige Tausend Euro.
Im Fall einer neuen Erbschaftssteuer gilt es, derartige Fehler zu vermeiden. Was der Fiskus als Immobilienwert ansetzt, muss weitgehend dem Preis am Markt entsprechen. Dasselbe Problem stellt sich etwa auch für Wertpapierpakete. Die SPÖ will Preiswahrheit gewährleisten, indem sie Marktpreise auswertet, wie sie etwa in Handelsplattformen im Internet bezahlt werden. Allerdings: Gerade bei stark schwankenden Preisen ist es keine triviale Angelegenheit, die richtige Bewertung zum richtigen Zeitpunkt zu erwischen.
Von dieser Frage jedenfalls wird es abhängen, ob es in einigen Jahren nicht erneut heißt: Die Erbschaftssteuer wurde wegen Uneinträglichkeit abgeschafft.